Im Gespräch mit dem Körpertherapeuten und Psychoneuroimmunulogen Leonhard Moser von Limitless Motion
Als Physiotherapeut begegne ich fast täglich Menschen, die aufgrund von Bewegungsmangel, Fehlernährung oder allgemein Lebensstilverfehlungen starke körperliche Beschwerden erleiden. Man erfährt dann fast immer, dass jede und jeder schon viel probiert haben, um wieder zu einem vitalen Körper zurückzufinden. Meistens durch Anleitungen von Expert*innen, Trainings- und Ernährungsplänen, mit messbaren Zielen. Das sind alles Inputs von Außen, an die man sich mehr oder weniger erfolgreich halten kann.
Ich frage mich: Wann verlieren wir den Kontakt zu unseren Impulsen von INNEN? Wenn wir in der Lage sind, auf unseren Körper zu hören, muss uns niemand erklären, wie viel von etwas gut für uns ist. Wann geht bei vielen die Beziehung zum eigenen Körper verloren? Als Kind muss uns niemand sagen, "Bewege dich"! Da heißt es eher, "Jetzt halte dich endlich mal still".
Unser Körper trägt unseren Geist. Wenn wir gegen unseren Körper arbeiten, arbeiten wir gegen uns selbst. Wie kann es überhaupt soweit kommen?
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, unterhalte ich mich mit Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen. Mit Körpertherapeut*innen, Rollstuhlfahrer*innen, Ärzt*innen, Leistungssportler*innen... Allen, die professionell mit Bewegung oder Bewegungsmangel zu tun haben. Damit wir die Anzeichen vielleicht irgendwann rechtzeitig erkennen und wir beginnen unseren Körper wie einen Palast zu pflegen.
Mit Leonhard Moser ist mir zu Beginn gleich ein unglaublich inspirierender Gesprächspartner ins Netz gegangen, dessen Wissen und Gedanken zu diesem Thema meinen eigenen Horizont enorm erweitert hat. Hier teile ich die essentiellen Aussagen aus unserem ca. einstündigen Gespräch, das leider viel zu kurz war.
"Das Spiegeln der Körperhaltung als Instrument der Empathie" – Leo Moser
Psychische Probleme manifestieren sich körperlich. Man überlegt sich, wie kann man diese Probleme über den Körper kontaktieren? Stellt man die entsprechenden Fragen ober spricht über belastende Themen, lassen sich körperliche Reaktionen beobachten. Diese können getrackt und somit konkret kontaktiert werden. Es hat sich gezeigt, dass eine rigide Psyche den Körper rigide macht. Genauso verhält es sich auch umgekehrt.
Beim Beobachten von Menschen auf der Straße kann man versuchen, sich in sie hinein zu spüren. Man nimmt die Haltung an und überlegt sich, wie fühlt sich die Person gerade? Wie würde es einem selbst gehen, wenn die Schulter nach vorne hängen und der Blick zum Boden oder aufs Handy gerichtet ist. Wie muss das Leben auf einen selbst wirken? Und wie schaue ich auf das Leben? Das Spiegeln der Körperhaltung wird zum Instrument der Empathie.
Die Bewegung als Tool zur Selbsterfahrung
Wer sich körperlich gut fühlt, hat mehr Motivation, mehr Energie und kann sich besser selbst regulieren. Also über den Körper kann man sich auch psychisch erfahren. Dabei geht es nicht um zielgerichtete Bewegung, sondern vielmehr darum, sich über die Bewegung selbst zu erfahren. Wie bin ich strukturiert? Wie mache ich etwas? Es sind oftmals sehr subtile Bewegungen, die etwas über einen selbst aussagen. Zum Beispiel: Kontrahiert mein Kiefer, wenn ich an etwas denke? Was macht meine Atmung? Dazu muss man sich Zeit nehmen, Bewegung ganz bewusst fließen zu lassen. Man legt sich auf eine Matte und schaut, was der Körper macht. Das können dann akrobatische Dinge sein, aber auch Gemütsbewegungen. Also man schaut, kommt eine Emotion auf.
Eine Vielzahl der Menschen hat die Beziehung zu ihrem Körper schon seit langem verloren haben. Aber woran kann das liegen?
Der Verlust der Beziehung zum eigenen Körper ist ein multifaktorielles Geschehen. Einerseits liegt er darin begründet, wie unsere Gesellschaft aufgebaut ist. Es beginnt sehr früh mit Krabbelstube, Kindergarten und Schule. Wo es gefordert wird, den Körper zu ignorieren. Spätestens ab der Schule. Denn der Bewegungsimpuls von Kindern ist in dieser Zeit noch vorhanden. Er ist da, um sich zu bewegen und nicht, um eine Stunde ruhig sitzen zu bleiben. Das müssen sie lernen und das trainiert man den Kindern an. Und das kann sehr viel im Kind brechen.
"Spätestens ab der Schule wird es gefordert, den Körper zu ignorieren"
Auf der anderen Seite stehen frühkindliche Bindungs- und Entwicklungsverletzungen. Das ist in mehr- oder weniger abgeschwächter Form in unserer Gesellschaft relativ weit verbreitet. Wenn ich eine Verletzung dieser Art durchmache, passiert das immer auch auf einer körperlichen Ebene. Wenn man es als Kind wahrnimmt, passiert das nicht im expliziten Gedächtnis, also man erinnert sich gar nicht daran. Sondern die Verletzung bleibt im impliziten Gedächtnis, was im Grunde genommen das Körpergedächtnis ist. Es gibt einen Teil des Gedächtnisses, das liegt im Hirn, aber es läuft über den Körper. Dort wird gespeichert, wie war zu diesem Zeitpunkt meine Atmung, meine Muskulatur. Diese Speicherung findet vorsprachlich statt - also ohne Worte dafür zu haben. Wenn ich zum Beispiel Ablehnung erfahren habe, dann muss ich damit umgehen. Und der Umgang damit findet körperlich statt. Ich halte zum Beispiel meine Atmung an, oder ich verfestige meine Muskulatur, um meine Emotion nicht herauszulassen. Weil sie nicht gesehen wird, oder weil die Emotion zu Bestrafung geführt hätte.
"Es gibt einen Teil des Gedächtnisses, das liegt im Gehirn, aber es läuft über den Körper"
Und dann kann es passieren, dass der Körper zum Ort der Gefahr wird. Da will ich nicht hingehen. Das sehe ich ganz viel, dass sich die Menschen vom Körper abspalten, damit sie das nicht fühlen müssen. Sie sind dann nicht mehr in ihrem Körper und sie spüren nicht "wenn ich so weitermache, bekomme ich Rückenschmerzen". Sie haben kein Körpergefühl, da sie sonst den ganzen anderen Schmerz spüren und dafür ist der Container nicht groß genug. So kommt es zum Kontaktverlust zu sich selbst. Eine Therapie oder liebevolle Beziehung können das auflösen und dann fangen diese Leute wieder an, sich um sich selbst zu kümmern. Man sagt so schön "Das ist mein Tempel".
Was wären Strategien, wie man die Beziehung zu seinem Körper wiederherstellt, bzw. aufrecht erhält?
Wenn ich mir bewusst werde, wie ich einen Bewegungsprozess organisiere, kann ich generell einen Bewusstwerdungsprozess antriggern. Wenn ich weiß, wie ich meinen Körper organisiere, werden mir vielleicht auch Organisationselemente meiner Psyche bewusst. Wie ärgere ich mich? Wie gehe ich in Kontakt mit jemanden? Wie gehe ich aus dem Kontakt wieder heraus? Wie mache ich denn das?
Die meisten Leute haben immer das Gefühl, das passiert ihnen einfach. Da passiert mir schlechtes, da ärgert mich jemand. Aber in Wahrheit mache ich das selbst. Wie organisiere ich das? Wie bin ich traurig? Und da kann ich über Bewegung reingehen. Es gibt Leute, die spüren ihren Körper wahnsinnig gut, aber sobald es darum geht eine Emotion wahrzunehmen, ist eine Blockade da. Dann spüren sie sich nicht mehr.
"Wenn das Kind aus dem Kontakt mit seinem Körper rausgegangen ist, wie helfe ich ihm dabei, den Kontakt wieder herzustellen?"
Aufrechterhalten fängt schon in der Kindheit an. Da ist man nicht einmal selbst dafür verantwortlich, sondern da würde ich allen Eltern, Pädagogen Erziehern, etc. raten, wesentlich sensibler zu sein. Das körperliche einzubeziehen, sodass diese Leute ein Gefühl dafür bekommen, was passiert denn da gerade? Was hat das Kind denn gerade für einen Impuls und was möchte es gerne machen? Was passiert denn, wenn ich dem etwas sage? Wenn das Kind aus dem Kontakt mit seinem Körper rausgegangen ist, weil es vielleicht gerade zu stressig war, wie helfe ich ihm dabei, den Kontakt wieder herzustellen?
Jetzt bin ich schon ein Mensch, habe den Kontakt zu mir verloren, denen würde ich sagen, mach etwas, das dich anspricht. Du machst gerne Pilates? Dann mach Pilates. Du machst gerne Yoga? Mach Yoga. Und kümmere dich auch um die mentale und emotionale Verbindung zu dir!
Alles, was du gerne machst, es soll nicht Leistungsorientiert sein. Das Leistungsorientierte muss man skippen. Den explorativen Anfängergeist zulassen und dann kann jede Form der Bewegung etwas machen. Am Anfang mach es Sinn, sich jemanden zu suchen, der einen etwas dabei unterstütz. Und wenn das Bewusstsein da ist, “hey, da geht ja noch was”, dann einfach fließen lassen. Und der beste Moment damit anzufangen ist JETZT!
Leonhard Moser
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